VOM RHEINGAU ÜBER DAS SAUERLAND BIS HIN ZUM LANDKREIS OBERHAVEL – SEIT DEM START VON „HEIMSPIEL WISSENSCHAFT“ HABEN SICH BEREITS ÜBER 25 WISSENSCHAFTLER:INNEN AUF DEN WEG IN IHRE LÄNDLICHEN HEIMATREGIONEN GEMACHT, UM DEN MENSCHEN DORT IHRE FORSCHUNGSTHEMEN NÄHERZUBRINGEN. WIE WAR ES, VOR FAMILIE, FREUNDEN UND ALTEN BEKANNTEN ÜBER DIE EIGENE WISSENSCHAFTLICHE TÄTIGKEIT ZU SPRECHEN? WELCHE BESONDERHEITEN TAUCHTEN AUF UND WAS HABEN DIE FORSCHENDEN MITGENOMMEN? | Zusammengestellt von Lea Brandes und Alina Mendt

„WISSENSCHAFT WIRD NAHBAR“

DER HOCHSCHULPRÄSIDENT UND INFORMATIKER PROF. DR. JOACHIM HORNEGGER VON DER FRIED-RICH-ALEXANDER-UNIVERSITÄT ERLANGEN-NÜRNBERG GAB IN SEINEM FRÄNKISCHEN HEIMATORT EFFELTRICH EINBLICKE IN DIE AKTUELLE FORSCHUNG ZU KI-GESTÜTZTEN MÖGLICHKEITEN DER GESUNDHEITSDIAGNOSTIK.

Ich begeistere Menschen gern für Wissenschaft und finde es spannend, meine Forschung so zu erklären, dass ich auch das Interesse der Leute gewinne, die sich nicht tagtäglich damit beschäftigen. Ich habe meinen Vortrag sehr persönlich gestaltet und konnte so die Distanz aufbrechen, die es zwischen Professoren und Laien oft gibt. Das hat zu einer spannenden Diskussion geführt, bei der sich die Zuhörenden auch getraut haben, sich zu beteiligen. Ich selbst bin Bildungsaufsteiger – meine Eltern haben weder studiert noch Abitur gemacht.

Somit hatte ich für den ein oder anderen im Publikum vielleicht auch eine Vorbildfunktion. Die große Stärke von Heimspiel Wissenschaft ist, dass man persönliche Beziehungen nutzt, um auch Zielgruppen zu erreichen, die sonst nicht im Fokus stehen. Durch den persönlichen Bezug bekommt die Wissenschaft ein Gesicht und man schafft eine Nähe, die den Zugang zu komplexen Themen erleichtert.

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„WIR SPRECHEN DIE GLEICHE SPRACHE“

DR. ULRIKE SCHWARZ IST DOZENTIN FÜR SCHULPSYCHOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT TÜBINGEN UND FORSCHT ZU SELBSTREGULATION VON JUGENDLICHEN UND ERWACHSENEN. IM BRANDENBURGISCHEN ZEHDENICK ERLÄUTERTE SIE IHRE FORSCHUNGSERGEBNISSE ÜBER SCHWANKUNGEN IN DER SELBSTREGULATION – EIN THEMA, DAS VIELE MENSCHEN IM ALLTAG BESCHÄFTIGT.

Ich habe es als tolle Chance empfunden, für ein Heimspiel Wissenschaft in meine Heimat zurückzukehren, wo ich meine ersten Bildungserfahrungen gemacht habe. Im Publikum saßen einige Lehrkräfte, die mir damals das Handwerkszeug und Selbstvertrauen für meinen akademischen Weg mitgegeben haben. Mit meinem Vortrag konnte ich etwas zurückgeben. Das große Interesse und die Neugier der Teilnehmenden haben mich beeindruckt. Es gab viele themenspezifische Fragen, aber auch Fragen zu meinem Werdegang – beispielsweise ob ich Tipps dafür hätte, wie man eine akademische Karriere einschlägt.

So haben die Nachbarn meiner Eltern mitgenommen, dass es noch ganz andere Berufsperspektiven für ihre studierenden Enkel gibt. Ich habe gemerkt, dass der persönliche Bezug zu mir schön für die Gäste war: Wir kommen aus der gleichen Gegend, sprechen den gleichen Dialekt – das erleichtert eine Kommunikation auf Augenhöhe. Aber nicht nur die Zuhörenden, auch ich habe dazugelernt: Für meine Präsentation habe ich überlegt, wie ich wissenschaftliche Erkenntnisse noch verständlicher darstellen kann. Das beeinflusst auch meine Tätigkeit als Dozentin.

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„FÜR BEIDE SEITEN INSPIRIEREND“

DR. CHRISTIAN SONNENDECKER VOM INSTITUT FÜR ANALYTISCHE CHEMIE DER UNIVERSITÄT LEIPZIG HAT MIT SEINEM TEAM DAS ENZYM PHL7 ENTDECKT. ES KANN EFFIZIENT PLASTIK (PO-LYETHYLENTEREPHTHALAT – PET) IN SEINE GRUNDBESTANDTEILE ZERLEGEN. ÜBER DIE-SE BIOLOGISCHE ANTWORT AUF UNSER PLASTIKPROBLEM DISKUTIERTE ER MIT ALTEN UND NEUEN BEKANNTEN BEI SEI-NEM HEIMSPIEL AUF EINEM RÜDESHEIMER WEINGUT.

Ich habe bis zu meinem 14. Lebensjahr im Rheingau gelebt und fühle mich der Region stark verbunden. Regelmäßig besuche ich Familie und Freunde vor Ort. Deshalb habe ich nicht lange gezögert mitzumachen. Ich finde es wichtig, dass Forschende durch das Projekt aus ihrer Komfortzone gehen und sich dem Austausch mit einer teilweise wissenschaftsfernen Zielgruppe stellen. Daraus entstehen spannende Gespräche, die für beide Seiten inspirierend sein können.

Klar war es eine Herausforderung, meinen Vortrag für ein heterogenes Publikum – von der thematisch interessierten Abiturientin bis zu meinem 84 jährigen Onkel waren alle dabei – zu stricken: Wie kann ich komplexe biochemische Prozesse verständlich runterbrechen und welche Take Home Message möchte ich mitgeben? Aber das war ein gutes wissenschaftskommunikatives Training für mich. Ich will das Bewusstsein dafür schaffen, dass wir mithilfe von neuen Technologien für die Herausforderungen, vor die uns die Klimakrise stellt, Lösungen finden können. Etwa durch einen energie und ressourcenschonenden Umgang mit Plastik.

Eine nachhaltige Lebensweise und ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft gehen uns alle an. Auch die Weinwirtschaft im Rheingau! Insofern war der Veranstaltungsort sehr gut geeignet, um meine Forschung anschaulich und praxisnah zu vermitteln.

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„MEINE FORSCHUNG SOLL NICHT FÜR DIE SCHUBLADE SEIN“

DR. LENA GREINKE FORSCHT AM INSTITUT FÜR UMWELTPLANUNG DER LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER ZU MULTILOKA-LITÄT, ALSO DEM LEBEN AN MEHREREN ORTEN GLEICH-ZEITIG. MIT IHREM HEIMSPIEL IM NIEDERSÄCHSISCHEN LATFERDE STIESS SIE DIE DISKUSSION ÜBER EIN FÜR DIE DORFGEMEINSCHAFT RELEVANTES THEMA AN.

„In meiner Forschung zu Multilokalität interessiert mich unter anderem, was es für das ehrenamtliche Engagement bedeutet, wenn Menschen aufgrund ihres Jobs oder ihrer Fernbeziehung an mehreren Orten leben. Wer öffnet das bürgerschaftlich betriebene Schwimmbad, wer löscht den Brand vor Ort? Fragen wie diese beschäftigen auch die knapp 250 Menschen in meinem Heimatort Latferde. Durch Heimspiel Wissenschaft konnte ich meine praxisrelevante Forschung dort diskutieren. Ich habe große Unterstützung erhalten, zum Beispiel vom Ortsbrandmeister, der unter anderem den Raum der Freiwilligen Feuerwehr organisiert hat.

Die große Resonanz – mehr als doppelt so viele Teilnehmende als erwartet und zusätzlich ein wahrnehmbares Medienecho – hat mich ein wenig überrascht und sehr gefreut. Für mich war besonders bereichernd, dass wir im Anschluss an meine Präsentation noch lange inhaltlich diskutiert haben. Das hat mir erneut gezeigt, wie wichtig Wissenschaftskommunikation im ländlichen Raum ist.

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„MEHR WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION AUF DEM LAND“

PROF. DR. SUSANNE HÜTTEMEISTER VON DER RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM IST LEITERIN DES BOCHUMER ZEISS PLANETARIUMS. IN IHRER NORDRHEIN-WESTFÄLISCHEN HEIMAT ALTENA SPRACH SIE ÜBER IHRE FORSCHUNG ZU ERDÄHNLICHEN PLANETEN AUSSERHALB UNSERES SONNENSYSTEMS.

In meinem Alltag als Leiterin des Planetariums spielt Wissenschaftskommunikation eine zentrale Rolle. Mein Vortrag für Heimspiel Wissenschaft zur Suche nach weiterem Leben im All hat mir besonders viel Spaß gemacht. Ich bin es gewohnt, vor fachfremdem Publikum zu sprechen, aber nicht immer ist das Publikum so interessiert und diskussionsfreudig. Sogar mein 90 jähriger Vater war dabei, das hat mich besonders berührt. Mit dem Heimspiel konnte ich Personen erreichen, die nicht bereit oder fähig sind, in den nächstgrößeren Ort zu fahren.

In Altena, wo ich herkomme, gibt es kein großes Vortragsangebot und Dortmund ist mehr als 30 Minuten Autofahrt entfernt. Die Distanz stellt oft eine Hürde für die Menschen dar – da braucht es niedrigschwellige Angebote. Wissenschaftliche Veranstaltungen auch in ländlicheren Gegenden anzubieten, finde ich sinnvoll. Ich würde mir daher wünschen, dass Heimspiel Wissenschaft auch über die Förderphase hinaus fortbesteht.

Erschienen im DUZ-Special Heimspiel