„HEIMSPIEL WISSENSCHAFT“ TRIFFT DEN NERV DER ZEIT. WIE ENTSTAND DIE IDEE ZU DEM ERFOLGREICHEN FORMAT UND WARUM FUNKTIONIERT DAS KONZEPT SO GUT? WARUM NEHMEN SICH FORSCHENDE DIE ZEIT UND WELCHES FEEDBACK KOMMT AUS DEM PUBLIKUM? IM INTERVIEW ANTWORTEN DIE PROJEKTPARTNER DR. CHRISTOPH HILGERT VON DER HOCHSCHULREKTORENKONFERENZ, JÖRG WEISS VON DER AGENTUR FÜR WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION CON GRESSA UND PHILIPP SCHRÖGEL VOM KÄTE HAMBURGER KOLLEG FÜR APOKALYPTISCHE UND POSTAPOKALYPTISCHE STUDIEN (CAPAS) AN DER UNIVERSITÄT HEIDELBERG. | Interview: Katja Spross

Wie kam es zur Idee für Heimspiel Wissenschaft?

JÖRG WEISS: Philipp Schrögel und ich hatten etwa zeitgleich die Idee. Meine Inspiration fußt auf meiner persönlichen Biografie: Ich bin in einem Dorf im Südschwarzwald mit 500 Einwohnern aufgewachsen. Als ich davon hörte, dass im Nachbardorf ein Soziologe ganze Gemeindesäle füllt, habe ich mich gefragt: Wie gelingt das? Soziologische Theorien sind ja oft nicht leicht zugänglich. Mir wurde klar, dass es auch um die Person gehen muss: Es handelte sich um Hartmut Rosa, der in seinem Heimatort sehr verwurzelt und präsent ist. So kam es zu der Idee, Formate der Wissenschaftskommunikation in Heimatorten von Forschenden zu konzipieren. Zusammen mit der HRK sprechen wir nun gezielt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen an.

PHILIPP SCHRÖGEL: Ich bin ebenfalls auf dem Land groß geworden – vielleicht kamen wir deshalb auf eine ähnliche Idee? Die Frage, welche Bevölkerungsgruppen kaum von Wissenschaftskommunikation erreicht werden und warum, beschäftigt mich schon länger, konkret in meinem Projekt „Wissenschaft für alle“ am Karlsruher Institut für Technologie zusammen mit Wissenschaft im Dialog. Wir fanden heraus, dass die regionale Zugehörigkeit ein wichtiger Faktor für Teilhabe ist: Wissenschaftliche Veranstaltungen finden meist in akademisch geprägten urbanen Ballungszentren statt, außerhalb gibt es wenige Angebote.

Deshalb kamen wir auf die Idee, dass Forschende aus dem ländlichen Raum mit ihren persönlichen Beziehungen als Katalysator für den Austausch vor Ort fungieren könnten. Durch gezielte Zusammenarbeit mit Partnern wie dem örtlichen Sportverein, dem Gemeindehaus oder dem Gasthof können Forschende mit bisher kaum erreichten Bevölkerungsgruppen in einem offenen und informellen Setting ins Gespräch kommen. Genau das macht Heimspiel Wissenschaft aus.

Welche Rolle spielt dieses informelle Setting?

DR. CHRISTOPH HILGERT: Durch die Wahl des Ortes wird Heimspiel Wissenschaft zu einem für alle Beteiligten sehr niedrigschwelligen Format. In Kombination mit den persönlichen Verbindungen der Forschenden ist genau dies das Erfolgsrezept. Für die Hochschulen ergibt sich ein enormes Potenzial, um in die Gesellschaft hineinzuwirken und den Austausch zu suchen.

Lohnt sich der Aufwand für diese Form der Wissenschaftskommunikation?

WEISS: Eindeutig ja, das ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit! Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung lebt im ländlichen Raum und hat dort keine Hochschule oder Forschungseinrichtung vor der Tür, die Veranstaltungen mit Bezug zur Wissenschaft bietet. Mit den Heimspielen geht die Wissenschaft aufs Land und tritt dort in den Dialog. Wir brauchen dieses Format, damit ländliche Regionen nicht abgehängt oder vergessen werden und die Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeiten erhalten.

Nach welchen Kriterien werden die Heimspiele ausgesucht?

HILGERT: Die Grundidee umfasst alle Fächer und Disziplinen. Bei der Auswahl achten wir auf Themenvielfalt, eine breite regionale Verteilung und binden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Karrierestufen ein.

Wie groß ist das Interesse der Forschenden?

HILGERT: Das Interesse ist riesig und wir freuen uns, wenn es weiter wächst. Denn unser Ziel ist es, dass schon während und vor allem nach Ende der Förderung durch das BMBF die Hochschulen Heimspiele in eigener Regie umsetzen.

Warum machen sie mit?

SCHRÖGEL: Der Kern ist ihre intrinsische Motivation. Sie begeistern sich für ihre Themen und möchten mit anderen darüber sprechen. Das funktioniert besonders gut, wenn die Forschung Anwendungsrelevanz hat, geht aber auch ohne. Mit Heimspiel Wissenschaft bieten wir Forschenden ein Format, mit dem sie mehr und vor allem andere Menschen als üblich erreichen können. Und wir bauen darauf, dass sich Leute melden, die Lust haben, der Heimat einen Besuch abzustatten.

HILGERT: Es geht ihnen um einen andersgelagerten Austausch über Forschung. Schon bei der Vorbereitung tauchen wichtige Fragen auf: Wie bereite ich mein Thema am besten auf? Was interessiert die Leute daran? Wie stelle ich die großen Zusammenhänge her, die die nicht wissenschaftliche Öffentlichkeit viel eher interessieren als die spezifischen Details? Im Dialog mit den Gästen bekommen die Forschenden spannende Impulse.

WEISS: Und es kann ihnen viel Motivation geben, ihr Wissen mit dem persönlichen Umfeld zu teilen und dabei zu bemerken, dass Angehörige und Freunde ihre Arbeit wertschätzen. Besonders wichtig kann das für Erstakademiker und Erstakademikerinnen sein, die manchmal wenig Verständnis aus der Familie erhalten und deswegen vielleicht sogar ihre Karrieren früher abbrechen – zum Beispiel, weil die Eltern nicht verstehen, warum sie promovieren möchten. Ein Großteil der Teilnehmenden sind tatsächlich Erstakademiker:innen.

Wie reagiert das Publikum auf die Vorträge zu wissenschaftlichen Themen?

WEISS: Ich habe viele persönliche und emotionale Gespräche zwischen den Forschenden und dem Publikum erlebt. Wir hören bei den Heimspielen oft genau die Statements, die wir uns bei der Konzeption erhofft haben. Etwa: „Jetzt verstehe ich endlich, was du da machst“ oder „Gut, dass es so was auch mal bei uns auf dem Dorf gibt“. Es gibt auch allgemeine Fragen zu Forschung und zum Beruf in der Wissenschaft. Wie gestaltet sich dein Arbeitstag? Wie entwickelt man Forschungsfragen? Kannst du wirklich forschen, was du willst? Alle diese Fragen wünsche ich mir als Wissenschaftskommunikator, weil sie das Verständnis der Tätigkeit fördern.

Heimspiel Wissenschaft möchte Hochschulen ermuntern, das Format in Eigenregie anzubieten. Wie gut gelingt das?

HILGERT: Wenn Ende 2024 die Projektfinanzierung durch das BMBF ausläuft, soll es nahtlos und eigenständig an den Hochschulen weitergehen. Dieses Ziel scheint aufzugehen, denn das Interesse der Hochschulen an unseren Aufrufen ist erfreulich groß – Heimspiel Wissenschaft trifft offenbar einen Nerv. An dem ersten digitalen Informationstreffen nahmen rund 120 Personen teil. Wir möchten einen Impuls in das Hochschulsystem senden und dazu anregen, in Zusammenarbeit mit uns etwas auszuprobieren. Wir möchten, dass die Hochschulen erkennen, dass es sich bei Heimspiel Wissenschaft um ein interessantes, praktikables, schnell umsetzbares und bereicherndes Format handelt. Hochschulen haben viele Möglichkeiten und Formate für Wissenschaftskommunikation gefunden, aber der ländliche Raum ist oft noch ein blinder Fleck.

Erschienen im DUZ-Special Heimspiel