Über die Grenzen und Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) wird gegenwärtig viel diskutiert – teils begeistert, teils besorgt. Vor allem die Webanwendung ChatGPT ist dieser Tage in aller Munde. Staunend nehmen Medien und eine breitere Öffentlichkeit zur Kenntnis, was Chatbots – also textbasierte Dialogsysteme auf Basis von KI-Sprachmodellen – mittlerweile leisten können. Hinter deren „Intelligenz“ steckt im Kern die Fähigkeit, maschinell große Text- bzw. Datenmengen analysieren, die Wahrscheinlichkeiten von Wortfolgen berechnen und so mehr oder weniger stichhaltige Antworten auf vorgelegte Fragen generieren zu können. Wo die Anwendungsmöglichkeiten künstlicher Intelligenz in der Medizintechnik liegen und was die dahinterstehende wissenschaftliche Forschung und Entwicklung ausmacht, war am 3. Februar 2023 Thema eines Heimspiels Wissenschaft im fränkischen Effeltrich.

Der Informatiker Prof. Dr. Joachim Hornegger von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg gab im Gasthaus „Zur Linde“ seines in der Nähe von Erlangen gelegenen Heimatorts einen faszinierenden Einblick in die aktuelle Forschung zu KI-gestützter Sensortechnik, Bildgebung und Datenanalyse in der Medizin – und wie sich gesundheitliche Vorsorge und Diagnose dadurch künftig vereinfachen und verbessern lassen. Mit Hornegger bestritt erstmals ein Präsident einer deutschen Hochschule eine Veranstaltung im Rahmen des Projekts Heimspiel Wissenschaft. Und er unterstrich so die Vorreiterrolle der FAU in diesem Vorhaben, das gemeinsam mit den Hochschulen neue Wege der Wissenschaftskommunikation mit Bürger:innen im ländlichen Raum erkunden möchte.

Effeltrich – der Name verweist in seinem Ursprung auf eine apfelreiche, auch heute noch von Streuobstwiesen geprägte Gegend – ist eine 2.500 Einwohner:innen zählende Gemeinde im Landkreis Forchheim nordöstlich von Nürnberg. Auf dem Dorfplatz, mitten im Ort, steht eine riesige, auch in der Winterzeit imposante, angeblich 1.000-jährige Linde, die dem Gasthaus ihren Namen leiht. Gleich nebenan zeichnet sich in der Abenddämmerung zudem die eindrucksvolle Silhouette einer steinernen Wehrmauer samt Ecktürmen einer mittelalterlichen Kirchenburg ab, die Glockenturm, Schiff und Friedhof der Effeltricher Pfarrkirche St. Georg seit Jahrhunderten sicher umfasst.

Der für die Veranstaltung vorgesehene Festsaal des Gasthauses ist bis auf den letzten Platz gefüllt und allerlei fränkische Spezialitäten wie Karpfen oder Schäufele für das leibliche Wohl in der Küche geordert, als Hornegger um 19 Uhr mit seinen Ausführungen beginnt. Ein privates Foto, das ihn mit wildem Haar im Jugendalter zeigt, eröffnet die kurzweilige Präsentation und sorgt für ein erstes amüsiertes Raunen unter den Anwesenden. Man kennt sich; in vielen Fällen seit Jahren. Über Horneggers Forschung hat man so aber noch nicht gesprochen. Mehr als 100 Personen unterschiedlichen Alters, Anwohner:innen aus Effeltrich oder Dörfern in der direkten Umgebung, Nachbar:innen, Bekannte, Freund:innen und auch Familienangehörige, drängen sich dicht an dicht an den Tischen und verfolgen gespannt und gebannt den einführenden Vortrag.

Die Entwicklung künstlicher Intelligenz benötigt in großem Umfang relevante Datenmengen © Philipp Schroegel

Hornegger nimmt darin immer wieder anschaulich auf Alltagserfahrungen im Publikum Bezug. Es schließt sich eine ausführliche Fragerunde an, in der der Wissenschaftler aus der Nachbarschaft auf Herausforderungen der Forschungsarbeit und deren Transfer in medizinische und medizintechnische Anwendungen eingeht. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz benötige in großem Umfang relevante Daten, um maschinelles Lernen überhaupt erst zu ermöglichen, so Hornegger. Dafür müsse es die passenden technischen Plattformen und einen klaren Rechtsrahmen geben, der einerseits die Datenverarbeitung für Wissenschaft und Industrie angemessen ermögliche und andererseits das nötige gesellschaftliche Vertrauen in diese Nutzung gebe und etwa die berechtigten Anforderungen des Datenschutzes ausreichend erfülle.

In der munteren und wertschätzenden Diskussion mit dem Publikum zeichnet sich ein vielfältiges Bild ab. Manche Anwesende bekunden bei aller Faszination für die zuvor vorgestellten neuen Möglichkeiten der medizinischen Informatik auch Skepsis bzw. Sorgen gegenüber den mächtigen, aber eben nur für die wenigsten im Detail nachvollziehbaren Algorithmen der KI. Es werden Bedenken gegenüber der – natürlich anonymisierten – Weitergabe von sensiblen medizinischen Daten und deren Verwendung durch Unternehmen geäußert. Andere Diskutant:innen heben wiederum ihre Hoffnungen und die absehbaren Vorteile für die Diagnostik hervor, die bestimmte Erkrankungen viel besser behandelbar mache. Oder sie weisen auf die internationale Anschlussfähigkeit von Forschung vor Ort hin. Man dürfe das Feld nicht leichtfertig anderen überlassen – mit möglicherweise geringeren ethischen Standards und Kontrollen. Daraus entwickeln sich weitere Gespräche auch unter den Bürger:innen selbst, die nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung vielfach engagiert weitergeführt werden. Der Abend wird von allen als Bereicherung empfunden.
„Eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft ist der Austausch mit der Gesellschaft – indem Forscherinnen und Forscher über ihre Erkenntnisse informieren, ihre Ideen für die Zukunft vorstellen, indem Bürgerinnen und Bürger Fragen stellen, ihre Wünsche an die Forschung richten. Dafür eignet sich das ‚Heimspiel Wissenschaft‘ besonders gut – gemeinsam vor Ort im direkten Gespräch“, bekundete Joachim Hornegger vor der Veranstaltung.

Horneggers Forschungsschwerpunkte liegen vor allem auf angewandter Informatik zur medizinischen Bild- und Signalverarbeitung; insbesondere 3D-Rekonstruktion aus Projektionen, die Fusion multimodaler Sensordaten sowie die intuitive Benutzerführung unter Zuhilfenahme von Algorithmen des Rechnersehens und der Sprachverarbeitung gehören zu seinen wissenschaftlichen Arbeitsfeldern.

Als Hochschulpräsident vertritt Hornegger an dem Abend aber nicht nur seine eigene Forschungsperspektive, sondern auch seine Universität. Immer wieder streut er, manchmal mit einem Augenzwinkern, Hinweise auf historische und aktuelle Errungenschaften der FAU ein. Forscherinnen und Forscher aus Medizin, Informatik und weiteren Disziplinen arbeiten unter anderem an der FAU gemeinsam an Methoden, die auf der Basis von künstlicher Intelligenz vorsorgliche Screenings, hochgenaue Diagnosen und personalisierte Behandlungen bestehender Erkrankungen – ob Herzkreislauferkrankungen, Leiden der Atemwege oder Tumorerkrankungen – sowie die lebenswichtige Überwachung in der Nachsorge möglich machen. Viele Volksleiden lassen sich so durch gezielte Prävention, Früherkennung und Überwachung besser in den Griff bekommen.

Die Veranstaltung ist Teil der bundesweiten Reihe Heimspiel Wissenschaft, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihre ländlichen Heimatorte bringt. Dort erzählen sie, worüber, wie und warum sie forschen und was das mit unser aller Leben zu tun hat. Sie beantworten Fragen und diskutieren mit ihren Gästen. Eingeladen sind alle, die das Thema spannend finden – ganz ausdrücklich auch Menschen, die mit wissenschaftlicher Forschung im Alltag normalerweise wenig oder nichts zu tun haben. Auch Fragen und Wünsche der Bevölkerung an die Forschung allgemein werden diskutiert. Bereits im November 2022 fand als Teil des Auftaktes mit der FAU im mittelfränkischen Gunzenhausen ein erstes Heimspiel Wissenschaft mit dem Landeshistoriker Prof. Dr. Georg Seiderer statt.

 

Autor: Christoph Hilgert, Hochschulrektorenkonferenz

 

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